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Trans-identitäre Organisierung & Hybridität - Heiliger Goldfisch!
author: Gregor Samsa - 01.07.2002 22:18
Stichworte zur Orts-, Organisations- und Identitätsdebatte rund um's 5. Antirassistische Grenzcamp. Oder: Warum dieses Jahr die Musik in Thüringen spielt?! Trans-identitäre Organisierung & Hybridität - Heiliger Goldfisch, was ist denn das!?
Glücklich sicherlich nicht, aber unterhalten (und obendrein auf den
Boden der Tatsachen geholt), dürfte sich fühlen, wer in den letzten
Monaten Zugang zur internen Mailing-Liste, d.h. zum virtuellen Diskussionsforum
der Antirassistischen Grenzcamp-Community hatte. Denn geboten wurde dort so
Manches, nicht zuletzt ein fulminanter Debatten-Showdown rund um die Frage,
ob und wie das mehrheitlich deutsch-weiße Grenzcampvölkchen gezielt
mit MigrantInnen- und Flüchtlingszusammenhängen kooperieren sollte,
auf dass langfristig nicht nur die deutsch-weißen Dominanzen innerhalb
linksradikaler Zusammenhänge ausgehebelt, sondern auch trans-identitäre,
mehr noch: hybride Bündnisse geschmiedet werden können.
Aufhänger der Debatte ist indessen ein anderer gewesen, die Frage danach,
wo denn das 5. Antirassistische Grenzcamp im Jahre 2002 seine Zelte aufschlagen
sollte: in Hamburg (als unmittelbarer Fortsetzung des Frankfurter Grenzcamps)
oder in Thüringen (als Wiederanknüpfung an die ersten drei Grenzcamps).
Pikant hieran ist weniger das schon oft ausgewalzte Spannungsverhältnis
zwischen westdeutscher Metropole und ostdeutscher Provinz gewesen (einschließlich
des unter westdeutschen Linksradikalen gerne kultivierten Anti-Zonen-Chauvinismus).
Nein, pikant ist vielmehr gewesen, dass sich für Thüringen in erster
Linie die Flüchtlingsselbstorganisationen "The Voice" sowie
"Brandenburger Flüchtlingsinitiative" stark gemacht haben.
Denn hierdurch ist im Gewande der Ortsfrage ein ganz anderes Problem akut
geworden, das eben schon erwähnte Problem, ob und wie weiße AntirassistInnen
ihre Dominanzen (inklusive ihrer Weißheit) anzugehen und so von ihrer
Seite aus (!) die Voraussetzung für trans-identitäre Bündnisse
zu schaffen hätten. Diese Überlappung zweier gänzlich unterschiedlicher
Fragestellungen hat die Debatte einigermaßen erschwert: Während
die Pro-Hamburg- Fraktion (vertreten im übrigen v.a. durch Nicht-HamburgerInnen)
insbesondere die Vorzüge der Metropole gepriesen, das allerdings mit
dem Vorwurf verknüpft hat, die Thüringen-BefürworterInnen würden
sich in althergebrachter, d.h. moralinsaurer Antira-Manier dem Anliegen der
Flüchtlinge unterordnen und auf diese Weise einem banalisierten Menschenrechtsaktivismus
Vorschub leisten, argumentierte der Thüringen-Flügel andersherum,
wenn auch weniger zugespitzt: Danach sei es unumstritten, dass Hamburg das
bessere Pflaster für linksradikalen Antirassismus abgäbe. Und dennoch:
Die Chance, durch einen direkten Kooperationspakt mit politisch organisierten
Flüchtlingen erste Schritte in Richtung trans-identitärer Organisierung
zu gehen (und somit den "Wir-Ihr-Effekten" rassistischer Ein- und
Ausschlußmechanismen das Wasser abzugraben) sei einfach zu groß,
ja zu verlockend, als dass sie vergeigt werden dürfte.
So weit die überaus verkorkste Ausgangssituation. Entschieden wurde trotzdem,
auf einem Treffen Anfang Dezember in Göttingen, und zwar - anders als
von den meisten erwartet - zugungsten von Thüringen! Das aber blieb nicht
folgenlos. Die mehr als knapp (und sicherlich komisch) zustandegekommene Entscheidung
war gerade mal drei Minuten alt, da entpuppte sich so mancheR LinksradikaleR
einmal mehr als typisch deutscher Michel, d.h. als "typisch deutscher
Verlierer" (wie es einer der Betreffenden unumwunden zugab): Nicht nur
wurden die ersten Austritte aus dem Vorbereitungskreis des Grenzcamp-Projektes
verkündet, nein, es wurden bereits Gegenaktivitäten in Aussicht
gestellt (die mittlerweile mit eigenem Aufruf beworbenen Schill-Y-Out-Days
in Hamburg). Und auch wurden die bereits erwähnten Vorwürfe gegen
die Thüringen-BefürworterInnen auf durchgedreht anmutende Weise
zugespitzt: Die Rede war jetzt von "deutschen Antiras", die "mal
wieder ihr Geschäft im Namen der Flüchtlinge gemacht" und die
so - Berti Voigts läßt grüßen - einen entscheidenden
Beitrag dazu geleistet hätten, das anti-rassistische Grenzcamp-Projekt
(als einem der vielverprechendsten Projekte der Radikalen Linken überhaupt)
an die Wand zu fahren.
Ich möchte an dieser Stelle kein weiteres Öl in's Feuer schütten.
Der bizarr-schrillen Tonlagen gab es wahrlich genug... Angesagt scheint mir
vielmehr die um Verständigung bemühte Auseinanderetzung. Denn auch
meines Erachtens ist das antirassistische Grenzcamp-Projekt viel zu wertvoll,
als dass es im Streit aufgerieben werden dürfte. Als Parteigänger
Thüringens möchte ich mich deshalb mit den Pro-Hamburg-Argumenten
auseinandersetzen. Hamburg ist auf zweierlei Art in's Spiel gebracht worden.
Einerseits wurde Hamburg in den allerhöchsten Tönen gepriesen: als
Metropole (mit linksradikaler Bewegungsgeschichte) sei es geradezu prädestiniert,
Austragungsstätte für das 5. antirassistische Grenzcamp zu werden.
Andererseits wurde erläutert, ja, mehr noch: davor gewarnt, in welchem
Sinne das Projekt ^ÂGrenzcamp' politisch vor die Hunde ginge, würde
es im Jahre 2002 nicht in Hamburg, dafür jedoch in Thüringen gastieren.
An dieser durchaus klassischen Zweiteilung möchte ich mich im folgenden
orientieren.
Insbesondere drei Argumente haben es den Hamburg-Freundinnen angetan:
Sicherlich, viele der genannten Argumente sind stimmig, jedenfalls im großen und ganzen. Und dennoch: Bei näherer Draufsicht fällt so manches Argument fragwürdiger bzw. weniger stichhaltig aus, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dies gilt es herauszuarbeiten, ist doch andernfalls eine ernsthafte Gewichtung der Pro-Thüringen- mit den Pro-Hamburg-Argumenten kaum möglich:
Zugestanden, viele meiner Einwände sprechen auf keinen Fall gegen, sie sprechen aber auch nicht für Hamburg, sie zeigen lediglich, dass eine ganze Reihe der zugungsten von Hamburg in's Spiel gebrachten Argumente mitnichten so zugkräftig sind, wie es in vielen Debattenbeiträgen immer wieder als unhintergehbare Selbstverständlichkeit behauptet wurde (Stichwort: Selbstläufer...). Insbesondere die Doppel-Problematik,
Öffentlichkeit herzustellen, ist um einiges komplexer, ja unaufgelöster, als in den allermeisten Pro-Hamburg-Statements der Eindruck erweckt wird. Demgegenüber sprechen allenfalls zwei Umstände für Hamburg:
Wie eingangs schon angedeutet, hat sich das Hamburg-Lager nicht damit begnügt, Hamburg als potentielle Grenzcamp-Stätte stark zu machen. Nein, es wurde zusätzlich (so wie in jeder hundsgemeinen Wahlkampagne auch) explizit gegen Thüringen argumentiert, mitunter polemisiert. Und das auf zweierlei Weise: Zum einen wurden viele der Pro-Hamburg-Argumente nicht nur positiv, sondern auch negativ, d.h. als Anti-Thüringen-Argumente in die Waagschale geworfen, eine sattsam bekannte Strategie, die keiner weiteren Erläuterung bedarf. Zum anderen ist Thüringen ob der für dort in's Auge gefaßten Kooperation zwischen dem mehrheitlich deutsch- weißen Grenzcampvölkchen sowie The Voice und anderer Flüchtlingsselbstorganisationen massiv attackiert worden. Denn programmatisch hätte dies die "Reduktion auf bloßen Antirassismus" (Schill-Y-Out-Days-Aufruf) zur Folge, bedeutete also nichts anderes als den Ausverkauf linksradikaler Widerstandsperspektiven: Anstatt Antirassismus als prinzipielle Absage an die gesellschaftlichen Verhältnisse zu begreifen, würde mit der Thüringen-Entscheidung nur noch das aus der Antira-Arbeit hinlänglich bekannte (und nicht selten als karitativer Paternalismus daherkommende) Unterstützungs-Klein-Klein drohen. Als Ort radikaler Gesellschaftskritik hätte das Grenzcamp somit ausgedient. Zu erwarten sei vielmehr ein "flüchtlingspolitisch reduziertes Camp" - zuungunsten eines "Hamburger-Polit-Zeltlagers" (um nur eine von vielen diesbezüglichen Stimmen zu zitieren). Warum das so wäre, das indessen ist nur selten ausgeführt worden, wahrscheinlich, weil es als Subtext sowieso allen klar geworden sein dürfte: Im Kern scheint es den KritikerInnen darum zu gehen, dass The Voice keine genuin linksradikale Kombo sei, genausowenig wie die Mehrheit der deutsch-weißen Antiras (wer immer das innerhalb des Grenzcampzusammenhangs sein soll) mit Antira-Arbeit gesellschaftsverändernde oder gar revolutionäre Perspektiven verbinden würde. Da aber The Voice und andere Flüchtlingsselbstorganisationen (samt ihrer deutschen Antira-FreundInnen) Quasi-AusrichterInnen des Thüringer Camps wären, hätte das automatisch den beklagten Substanzverlust zur Folge. Dieser Perspektive gilt es, in vielerlei Hinsicht zu widersprechen:
Die Existenz solcher WIR-IHR-Identitäten setzt allerdings doppelte,
spiegelbildlich aufeinander bezogene Konstruktionsprozesse voraus, und das,
weil derartige WIR-IHR-Identitäten nichts sind, was einfach so auffindbar
wäre. Stattdessen ist festzuhalten, dass im Zuge historischer Prozesse
(d.h. durch Kolonialismus und Sklaverei, durch Herausbildung kapitalistisch-patriarchaler
Nationalstaaten, durch Apartheit und rassistische Diskriminierung etc.) Hautfarbe
und andere, ebenfalls physische (und neuerdings auch kulturelle) Merkmale
als vorgeblich bedeutsame Unterscheidungskriterien nicht nur konstruiert,
sondern auch markiert (= bestimmt) wurden, und dass es auf dieser Grundlage
(unter Rückgriff auf weitere, tatsächliche wie zugeschriebene Merkmale
und Eigenschaften) zur Bildung verschiedener weißer, schwarzer und anderer
Identitäten gekommen ist. Was dies genau heißt, dem kann an dieser
Stelle nicht nachgegangen werden, würde dies doch die Beantwortung einer
Vielzahl unterschiedlicher Fragen erforderlich machen, Fragen wie z.B. folgender:
Was heißt blackness und whiteness, was heißt, dass Schwarzsein
bzw. Weißsein historisch bzw. kulturell produzierte Identitäten
sind, wie entstehen diese Identitäten, warum ist whiteness auf blackness
angewiesen, was sind phantatisch-projektive Zuschreibungen (zwischen Lust,
Begehren und Angst), wie und weshalb werden Zuschreibungen verinnerlicht und
folglich Realität, wie verschränken sich blackness, whiteness und
andere Herrschaftsverhältnisse (z.B. gender), inwieweit sind blackness
und whiteness verkürzte und deshalb auszudifferenzierende Polarisierungen
(hinsichtlich asiatischer, arabischer, osteuropäischer...) Identitäten
etc etc.? Wie gesagt, jetzt möchte ich diesen Strang nicht weiter verfolgen,
verwiesen sei aber auf den in der interim Nr. 541 bzw. im kassiber Nr. 47
abgedruckten Text "Koloniale Bilderwelt und Subjekt. Oder: whiteness,
blackness und gender: Zur Verschränkung von Rassismus und Sexismus".
Dieser Text versucht nämlich, auf einige der eben aufgeworfenen Fragen
Antworten zu formulieren, und auch handelt es sich um einen der Texte, welche
im Laufe der Thüringen-Hamburg-Debatte zur Diskussion gestellt, welche
allerdings von der Pro-Hamburg-Fraktion samt und sonders ignoriert wurden....
Zurück: Führt sich mensch das eben Gesagte vor Augen, wird offensichtlich,
weshalb es alles andere als ein Zufall ist - dafür jedoch Effekt rassistischer
Ein- und Ausschlußmechanismen -, dass es innerhalb des Grenzcamp-Zusammenhangs
bislang zu keiner weiterreichenden Kooperation zwischen refugees und non-refugees
bzw. MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen gekommen ist. Denn nicht nur existieren
zwischen refugees, deutschen Weißen und MigrantInnen deshalb Unterschiede,
weil sie häufig unterschiedlichen gesellschaftlichen bzw. kulturellen
Kontexten entstammen und sich hierdurch die Summe möglicher Überschneidungspunkte
reduziert (womit allerdings nicht das Vorurteil fester, streng voneinander
abgezirkelter Kulturkreise bedient werden soll, s.u.). Nein, zwischen refugees,
deutschen Weißen und MigrantInnen existieren nicht zuletzt deshalb Unterschiede,
weil sie qua rassistischer Verhältnisse unterschiedlich vergesellschaftet,
d.h. an unterschiedliche Orte im gesellschaftlichen Raum "platziert"
werden. Oder zugespitzer noch: Während deutsche Weiße zum gesellschaftlichen
WIR gehören (samt aller Einschlüsse, die das mit sich bringt) gehören
refugees und MigrantInnen zum gesellschaftlichen IHR (samt aller Ausschlüsse,
die das mit sich bringt). Und das gilt für alle, also auch für weiße
Linksradikale, sie mögen sich noch so wehren, aber dem Privileg, nicht
(!) rassistisch diskriminiert, ausgegrenzt und schikaniert zu werden, dem
kann ein deutscher Weißer in Deutschland einfach nicht entkommen.
Hieraus folgt indes, dass trans-identitäre (ja, mehr noch: hybride) Organisierung
die einzig angemessene Strategie ist, to fight racism seriously! Um zu verstehen,
was dies konkret meint, sollte mensch sich zuallerest zwei Aspekte in Sachen
Identität vor Augen führen: Zum einen ist es - ob's gefällt
oder nicht - unumgänglich, die Unterschiede zwischen den jeweiligen Identitäten
anzuerkennen, d.h. wahr- und ernstzunehmen! Schließlich sind unsere
Identitäten Ausdruck unterschiedlicher Erfahrungen, Erfahrungen, die
je nach Klasse, Geschlecht Ethnizität etc. unterschiedlich ausfallen
und folglich mit je spezifischen "Vorgaben" zur Subjekt- bzw. Identitäsbildung
einhergehen. Zum anderen gilt aber auch, dass Identität nichts ist, was
einfach reflexartig, quasi von selbst entstehen würde, je danach, an
welchen Platz ein Mensch im gesellschaftlichen Raum geraten ist. Nein, Identitäten
sind immer das Produkt eines Wechselspieles: Menschen sind zwar bestimmten
Bedingungen ausgesetzt (die sie sich nicht aussuchen können), es gibt
aber auch Spielräume, Spielräume, in welchen die eigenen Umstände
reflektiert werden und Veränderungs- oder gar Revolutionswünsche
entstehen können. (Gäbe es diese Spielräume nicht, wäre
es überhaupt nicht erklärbar, warum es "uns", warum es
Widerstand überhaupt gibt). In diesem Sinne ist v.a. die Identitätspolitik
marginalisierter bzw. diskriminierter Gruppen ernst zu nehmen (Lesben/Schwule,
MigrantInnen und Flüchtlinge, Frauen, Behinderte, etc.), denn um Widerstand
leisten zu können, muß zuallererst ein Widerstandskollektiv geformt
werden, müssen sich die Betreffenden über ihre jeweiligen Diskriminierungserfahrungen
genauso austauschen wie darüber, wohin die Reise gehen soll, eine Strategie,
die nicht selten mit einer (taktischen) Bejahung der eigenen Marginalisiertheit
verknüpft ist (verwiesen sei beispielhaft auf das Kanaak Attack-Konzept).
Ja, und mit Abstrichen gilt dies auch für linken Widerstand im allgemeinen,
auch dieser bedarf eines kollektiven Wir's, andernfalls wären die linken
WiderständlerInnen nicht mehr als ein wilder, überhaupt nicht handlungsfähiger
Hühnerhaufen.
Und dennoch: So wenig Identität in Bausch und Bogen verteufelt werden
darf (ich bitte, dies zu berücksichtigen!), so sehr gilt umgekehrt, dass
Identitäten in erster Linie Herrschaftsprodukte sind. In ihnen spiegeln
sich, wie eben schon ausgeführt, die Summe der jeweiligen Erfahrungen
wider, d.h. die Zumutungen (zum Guten wie zum Schlechten), die Diskriminierungen,
die Schikanen, die Zwänge, die Normierungen, die Einordnungen, die Klassifizierungen,
die Polarisierungen, kurz, alles das, was Menschen erleben müssen bzw.
erleben dürfen. Ja, und weil das so ist, weil unsere Identitäten
in erster Linie verinnerlichte Herrschaftsverhältnisse sind, weil wir
zum Bestandteil der von uns bekämpften Verhältnisse gemacht werden,
ist es unumgänglich, unsere Identitäten kritisch zu hinterfragen,
d.h. sie auseinanderzupflücken und sie (langfristig) zu etwas ganz Anderem
zusammenzusetzen: Es gilt (um's auf dem Feld des Rassismus zu formulieren)
Identitäten zu erproben, die jenseits rassistischer IHR-WIR-Polarisierungen
angesiedelt sind, die nicht auf Abgrenzung, Aus- und Einschluß, projektiven
Zuschreibungen etc. beruhen, sondern die im Fluß sind, sich immer wieder
wandeln, weiterentwickeln, die das Andere nicht nur im Außen vermuten
(bei den Fremden...), sondern auch in sich selbst, die aus sich heraus zu
immer neuen Gewässern starten, neuen Gewässern nicht zuletzt in
sich selbst (Stichwort: Freies Fluten - hey, merkt Ihr was!?). Angesagt ist
mit anderen Worten das, was im anglo-amerikanischen Sprachraum mit dem leider
etwas sperrigen Begriff der Hybridität bezeichnet wird: Wo sich hybride
Identitäten bzw. hybride Kulturen herausschälen, da gibt es kein
Außen, welches von einem wie auch immer bestimmten Innen streng abgeschottet
wäre, dort ist es nicht mehr möglich, Dazugehörige und solche,
die nicht dazugehören, auseinanderzusortieren und auf dieser Grundlage
Diskriminierungs-, Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse zu errichten.
Doch stopp: Das, was ich soeben formuliert habe, ist Zukunftsmusik, ist nicht
mehr als utopischer Fluchtpunkt. Denn wir stehen derzeit irgendwo ganz anders.
Wir sind - Achtung Zuspitzung! - Gefangene unserer Identitäten, was auch
nicht weiter verwunderlich ist, schließlich ist es für keineN möglich
(ob Flüchtling, weisser DeutscheR oder MigrantIn), einfach mal die gesellschaftlichen
Verhältnisse (aus welchen unsere jeweiligen Identitäten hervorgehen)
auszuhebeln. Oder anders: Solange gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse
existieren, solange sind auch unsere Identitäten unmittelbare, schattengleiche
ZeugInnen dieser Verhältnisse. Schade, aber wahr!
In diesem Sinne kann's in Thüringen um nicht mehr als erste Schritte
gehen, erste Schritte allerdings - und an dieser Stelle kommt das schöne
Wörtchen des Trans-Identitären in's Spiel - welche die engen Grenzen
des eigenen Identitäts-Raumes hinter sich lassen, das jedoch immer im
Wissen darum, dass Identitäten äußerst unterschiedlich ausfallen
können, also gar nicht so ohne Weiteres zusammenpassen und deshalb stets
geguckt werden muß, wo's paßt und wo nicht und wo es ggf. auch
ansteht, zu streiten, zu streiten nicht zuletzt darüber, wie (langfristig)
ein solches anti-rassistisches Widerstands-WIR herausgebildet werden kann,
welches seinerseits bereits trans-identitär, ja hybrid gestaltet ist.
Oder anders: In Thüringen soll's vor allem darum gehen, mittels trans-identitärer
Organiserung, dem Kern des Rassismus das Wasser abzugraben: Rassismus setzt
Trennungen voraus (WIR-IHR...) und errichtet sie immer wieder neu. Dem kann
nur begegnet werden, indem die Trennungsschrauben gelockert und teilweise
auch aufgedreht werden, indem also Flüchtinge, deutsche Weiße und
MigrantInnen kooperieren, auf dass nicht nur die Identitätsmauern eingerissen
(oder zumindetens angekratzt), sondern auch die direkt hiermit zusammenhängenden
Herrschaftsverhältnisse bekämpft werden, sei es das Abschieberegime,
das Arbeitsverbot oder die handfeste Gewalt auf der Straße.
Indes: Hiervon wollen verschiedendste Leute aus der Pro-HH-Fraktion nichts
wissen, und zwar so wenig, dass es einige von ihnen vorgezogen haben, den
Mantel des Schweigens darüber auszubreiten, wie und mit welchen Argumenten
für Thüringen überhaupt argumentiert wurde. Dafür scheint
es im Gegenzug (wie gesagt: es scheint!), als ob es einige der Hamburg-Zampanos
vorzögen, in ihrem eigenen Saft weiterzuschmoren, d.h. ihren eigenen
Schrebergarten (in den Farben: deutsch-weiß-autonom) weiter zu bestellen,
und das im Namen eines, wie es immer wieder heißt, echten (eines guten,
eines reinen, eines ordentlichen....) Bewegungscamps. In diesem Zusammenhang
eine Frage: Kann mir mal eineR, irgendeineR erklären, warum es nicht
möglich sein soll, in Thüringen ein linksradikales und d.h. auch:
ein transidentitäres Bewegungscanp auf die Beine zu stellen. Mensch,
Hirschkäfergezwitscher noch mal: Das wäre doch cool, tausend mal
cooler (und obendrein eine riesige Chance), als einmal mehr eine antirassistische
Grenzcamp-Vollversammlung mit mehrheitlich deutsch-weißem Personal abzuhalten!!!
In der Zwischenbilanz hieß es, dass für Hamburg insbesondere Schill
sowie infrastrukturelle Vorteile sprechen würden. Dies ist einiges, aber
in meinen Augen nicht genug, jedenfalls nicht im direkten Vergleich, also
gemessen daran, dass in Thüringen ganz Neues auf uns wartet, Neues, was
schwierig, herausfordernd und obendrein privilegien-infragestellend ist, was
umgekehrt aber auch eine Chance darstellt, die Chance nämlich, auf eine
Viezahl der Notwendigkeiten reagieren zu können, um die wir langfristig
sowieso nicht rumkommen (so wie "wir" ja auch nicht um's patriarchale
Geschlechterverhältnis rumkommen...). In diesem Zusammenhang sei schließlich
noch angemerkt, dass mensch die Chance dort am Schopfe packen sollte, wo sie
sich bietet. Dies ist insbesondere an die Adresse derer gerichtet, die immer
wieder darauf hingewiesen haben, dass mensch ja auch in Hamburg mit Flüchtlingen
und MigrantInnen kooperieren könnte. Das ist zweifelsohne richtig. Allein:
In Hamburg gibt es derzeit keinen Flüchtlinge und MigrantInnen, die in
vergleichbarer Weise wie The Voice oder die Flüchtlingsinitiative Brandenburg
mit dem Grenzcamp verschwistert wären. In diesem Sinne sollte mensch
- so denn ihm das Trans-Identitäre tatsächlich am Herzen liegt -
lieber dort zupacken, wo sich die Chance auftut, anstatt in Hamburg auf die
Suche nach kooperationsbereiten Flüchtlingen und MigrantInnen zu gehen.
Ein Vorhaben, welches sowieso zum Scheitern verurteilt wäre, wie jedeR
einräumen wird, die bzw. der überhaupt schon mal die Mühe auf
sich genommen hat, so etwas wie trans-identitäre Bündnisse zu schmieden.
Kurzum: In meinen Augen gibt es viele gute Gründe (von denen im vorliegenden
Text noch nicht einmal alle genannt wurden - wie z.B. "Rechte Hegemonie
angreifen!"), dass diese Jahr die Musik in Thüringen spielt.
Indes: Es ist zu spät. Beträchtliche Teile der bisherigen Grenzcampvorbereitung
(darunter viele der Altvorderen) haben sich verabschiedetet und bereiten mittlerweile
die Schill-Y-Out-Days in Hamburg vor. Dies ist - allen Differenzen zum Trotz
- für das diesjährige Grenzcamp ein gewaltiges Manko, einmal ganz
davon abgesehen, dass alles dies keine Meisterleistung auf dem Feld politischer
Kultur gewesen ist. Und dennoch - da beißt die Maus keinen Faden ab
-,es ist so, weshalb uns gar nichts Anderes übrig bleibt, als die politische
(!) Auseinandersetzung zu suchen, droht doch anderernfalls einmal mehr ein
spießiges (weil voneinander abgeschottetes) Nebeneinander autonomer
KleingärtnerInen. In diesem Sinne rufe ich Euch an, Ihr RitterInnen des
Streits, welche Ihr ja laut Selbstauskunft seid: Brecht Eurer Land-in-Sicht-Schweigen,
hört auf, Gerüchte zu streuen, nenntt Roß und ReiterIn, sagt,
weshalb ein Grenzcamp in Thüringen in Euren Augen eine politische Sackgasse
darstellt. Inhaltliche Textmasse, auf die Ihr Euch beziehen könnt, gibt
es ja mittlerweile hinreichend viel!
Gregor Samsa
Quelle: http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/themen_extra3.htm