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author: Gregor Samsa - 01.07.2002 22:15
Vom 17. - 20. Januar 2002 fand in Bremen die 1. cross-over-conference
statt - mit dem Untertitel: Machtnetze attackieren! Ziel dieser conference
war es, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse auf ihre jeweiligen
Verzahntheiten hin abzuklopfen, also mit einem Anspruch ernst zu machen, welcher
zwar regelmässig formuliert, viel zu selten jedoch umgesetzt wird. Konkret
heisst das: Geplant waren ausschliesslich workshops, die 2 oder mehr Herrschaftsverhältnisse
miteinander verknüpfen, wie z.B. Heterosexismus und Kapitalismus oder
Sexismus und Antisemitismus. In diesem Sinne soll im Folgenden anhand eines
konkreten Verknüpfungsbeispieles veranschaulicht werden, worin denn theoretischer
wie praktischer Nutzen eines solchen Vorgehens besteht.
Vorbemerkung: Dieser Text ist ursprünglich für die cross-over-conference
in Bremen verfasst worden, nimmt jedoch seinen Ausgang vom 3. + 4. Antirassistischen
Grenzcamp. Das aber ist der Grund dafür, weshalb der Text gleichzeitig
auch das theoretische Rückrat des jüngst in die Welt geschickten
Textes "Trans-identitäre Organisierung & Hybridität - Heiliger
Goldfisch, was ist denn das!?" darstellt, in welchem die Orts-, Organisations-
und Identitäsdebatte rund um das diesjährige Antirassistische Grenzcamp
aufgearbeitet wird. In diesem Sinne bilden beide Texte eine Einheit!
Oder: whiteness, blackness & gender: Zur Verschränkung von Rassismus und Sexismus
Vorspiel: Kolonialer GAU auf dem 3. + 4. antirassistischen Grenzcamp
Wir für uns sind zu der Schlußfolgerung gekommen, dass es besser
ist, auf dem Camp keine weißen Frauen anzusprechen, laufen wir doch
andernfalls Gefahr, einmal mehr Sexismusvorwürfen ausgesetzt zu sein.'
So in etwa lautete die Einschätzung zweier Männer von The Voice
Africa Forum bzw. der Flüchtlinsinitiative Brandenburg, formuliert während
einer überwiegend konstruktiven Sexismus- Rassismus-Diskussion, welche
in den letzten 3-4 Stunden des ansonsten über weite Strecken grotesk
verlaufenen Abschlußplenums auf dem diesjährigen antirassistischen
Grenzcamp in Frankfurt/Main erfolgt ist.
Hintergrund dieser fast schon, wie es schien, nüchtern-abgeklärt
vorgetragenen Einschätzung sind weniger direkte Vorkommnisse auf dem
Camp selbst gewesen, als vielmehr zahlreiche, mitunter nervenaufreibende Sexismusdiskussionen,
die VertreterInnen von The Voice, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg
und anderer MigrantInnenorganisationen in den letzten 2-3 Jahren permanent
geführt haben - auch und nicht zuletzt im Streit mit (deutschen) Weißen.
Einer der diesbezüglich unrühmlichen Höhepunkte ist sicherlich
das letztjährige Grenzcamp in Forst gewesen. Damals erreichte die Campöffentlichkeit
eine von einigen TeilnehmerInnen eines Weimarer Antifacamps verfaßte
e-mail: in dieser ist einerseits von einem sexistischen Übergriff die
Rede, welcher seitens eines von The Voice für das Antifa-Camp mobilisierten
Mannes begangen wurde; andererseits wird hieraus Weitreichendes geschlußfolgert:
"Wir fordern von "The Voice" nicht nur eine Stellungsnahme,
sondern dass sie innerhalb ihrer Gruppe und ihrem Umfeld eine Auseinandersetzung
mit sexistischem Verhalten führen. Zudem fordern wir sie auf, dafür
zu sorgen, dass solche Übergriffe in Zukunft unmöglich werden, um
auch in Zukunft gemeinsam gegen den rassistischen Staat und die rassistische
Bevölkerung agieren zu können." Diese direkt an The Voice gerichteten
Forderungen hatten auf dem Camp erbitterte Debatten zur Folge, insbesondere,
weil sich Vertreter von The Voice verletzt wie besorgt darüber zeigten,
dass die in der e-mail indirekt an ihnen geübte Kritik zur Zerstörung
von The Voice führen könnte, ja, dies möglicherweise auch beabsichtigen
würde. In einer von der großen Mehrheit der CampteilnehmerInnen
getragenen, nicht aber als offizielle Campresolution verabschiedeten Stellungsnahme
wurden die mehrtägigen Campdebatten schließlich in zweierlei Richtung
resümiert: nicht nur wird der sexistische Übergriff auf dem Antifa-Camp
verurteilt und außerdem auf die etwaigen Folgen derartiger Übergriffe
hingewiesen, nein, auch die e-mail aus Weimar wird harsch angegangen: Indem
nämlich der Sexismus eines Einzelnen, und zwar eines einzelnen schwarzen
Mannes markiert wird (nicht aber sexistische Verhältnisse im allgemeinen
Markierung erfahren), und indem zweitens The Voice eine besondere Verantwortlichkeit
hinsichtlich der Vermeidung sexistischer Übergriffe zugesprochen wird
(nicht aber alle Männer in die antisexistische Pflicht genommen werden),
erwecken die VerfasserInnen der Weimarer e-mail den Eindruck - ob gewollt
oder nicht -, Sexismus sei ein Spezialproblem schwarzer bzw. migrantischer
Männer. Das aber kommt einer rassistischen Ethnisierung des Problems
gleich! Desweiteren wird kritisiert, dass in der Weimarer e-mail die entschlossene
Bekämpfung sexistischer Verhältnisse zur Voraussetzung gemeinsamer
antirassistischer Kämpfe erklärt wird. Denn das ist nichts anderes
als ein Herrschaftsverhältnis gegen ein anderes auszuspielen, ein Verfahren,
das zwangsläufig im Selbstwiderspruch endet, wie ja die Auseinandersetzungen
auf dem Camp gezeigt haben. Zurück zum Frankfurter Camp: Läßt
mensch die letztjährigen und andere, ähnlich gestrickte Debattenerfahrungen
rund um Sexismus und Rassismus Revue passieren, dürfte um einiges verständlicher
werden, weshalb die beiden Männer von The Voice bzw. der Flüchtlingsinitiative
Brandenburg zu ihrer eingangs zitierten Einschätzung gekommen sind. Und
trotzdem: Mensch sollte sich hiermit auf gar keinen Fall zufrieden geben.
Denn die in jener Einschätzung artikulierte Befürchtung: "Wir
als schwarze Männer laufen Gefahr, seitens Weißer des Sexismus'
geziehen zu werden" ist mehr, sie ist die Wiederkehr eines der elementarsten
Kolonial-Klassiker überhaupt, eines Klassikers, in dem Sexismus und Rassismus
ununterscheidbar ineinandergreifen: Ob im kolonialen Alltag, ob in den tausendfachen
Lynchmorden in der US-Post-Sklaverei-Ära oder ob 1992 beim rassistischen
Mob vor einem Flüchtlichtsheim in Mannheim-Schönau, egal wo und
wann, stets zirkulierten die kolonialen Bilderwelten, stets waren und sind
die sexistisch-rassistischen Repräsentationsregime am Werk, wonach es
der schwarze Mann ist - hypersexuell, gierig und gewalttätig -, vor dessen
räuberischem Zugriff die weiße Frau - achtbar, schwach und asexuell
- in Schutz zu nehmen ist, und zwar durch den weißen Mann, seinerseits
vernünftig, stark und diszipliniert, während umgekehrt die schwarze
Frau immer schon die moralisch Gefallene ist - animalisch, lasziv und bizarr
-, dem männlich-weißen Verlangen grundsätzlich ausgeliefert,
ja dienstbar.
Diesen kolonialen Subtext einmal vor Augen geführt, wird indes offenbar,
weshalb es ein politischer Super-GAU ist, artikulieren schwarze Männer
auf einem überwiegend von weißen West-EuropäerInnen besuchten
Grenzcamp die Befürchtung, sie könnten - in ihrer Eigenschaft als
Schwarze - als Sexisten gebrandmarkt werden. Und daran ändert auch der
Umstand nichts, dass die allermeisten Männer auf die eine oder andere
Weise sehr wohl Sexisten sind. Denn in einer Gesellschaft, in welcher die
verschiedendsten Herrschaftsverhältnisse immer schon ineinandergreifen,
in welcher die Menschen in Eins vergeschlechtlicht, ethnisiert, zu Angehörigen
bestimmter Klassen etc. gemacht werden, ist jeder Sexismusvorwurf immer schon
ethnisch aufgeladen bzw. durchkreuzt, ganz gleich, ob es um weiße, schwarze
oder anderer Sexisten geht, ganz gleich ob diese sozial Deklassierte, konservative
Bürger oder Angehörige welcher Klasse auch immer sind. Konkret heißt
dies: Dass auf dem Frankfurter Grenzcamp (bestimmte) schwarze Männer
es vorgezogen haben, weiße Frauen nicht oder nur defensiv anzusprechen,
das ist einzig dem Umstand geschuldet, dass die gesellschaftlich grundlegenden
Herrschaftsverhältnisse samt ihrer diskursiv fundierten Repräsentationsregime
auch in Frankfurt intakt gewesen sind; ein Umstand, der sicherlich nicht überrascht
und dennoch lohnt, verstanden zu sein.
Kurz, wer nachvollziehen möchte, wie es zu besagtem Race-Gender-Super-GAU
gekommen ist, die bzw. der muß einer ganzen Reihe grundlegender Fragen
nachgehen, Fragen wie z.B.: Was heißt blackness, was whiteness, was
heißt, dass Schwarzsein bzw. Weißsein historisch-kulturell produzierte
Identitäten sind - so wie gender ja auch -, wie entstehen diese Identitäten,
warum ist whiteness auf blackness angewiesen, was sind phantastisch-projektive
Zuschreibungen (zwischen Lust, Begehren und Angst), wie und weshalb werden
Zuschreibungen verinnerlicht und folglich Realität, wie verschränken
sich blackness, whiteness und gender (sowie andere Herrschaftsverhältnisse),
was meint schwarze, phallozentrische Hypermaskulinität, was weiße
männliche Vorherrschaft (supremacy), inwieweit sind blackness und whiteness
reduktionistische und deshalb auszudifferenzierende Polarisierungen (hinsichtlich
asiatischer, arabischer, osteuropäischer... Identitäten) etc. etc.
?
Freilich, dies sind eine Unzahl Fragen, auf die sorgfältig einzugehen
noch nur sehr eingeschränkt möglich ist. Insofern mögen die
jetzt noch ausstehenden Anmerkungen in 1. Linie als Streiflichter verstanden
werden; als Streiflichter, deren Zweck es ist, anzudeuten, was passiert, sobald
Rassismus nicht nur in einigen seiner Tiefendimensionen ausgeleuchtet wird
(aus denen ihrerseits wiederum staatlicher Rassismus, Handlungen des rassistischen
Mobs etc. hervorgehen), sondern auch Querverbindungen geschaffen werden, insbesondere
zu Sexismus und Heterosexismus.
So wie der Gender-Terminus auf das heterosexistische System patriarchaler
Zweigeschlechtlichkeit abzielt, lenkt das begriffliche Doppel blackness &
whiteness die Aufmerksamkeit darauf, dass in westlichen Gesellschaften eine
Vielzahl ethnischer, aus Prozessen der Fremd- und Selbstethnisierung hervorgegangener
Identitäten existieren - nicht zuletzt die des Schwarzseins und Weißseins,
um welche es jetzt gehen soll.
Analytischer Fluchtpunkt des blackness & whiteness-Konzeptes ist, dass
Schwarzsein und Weißsein in keiner Form so etwas wie ein natürlicher
Kern innewohnt, ganz ähnlich, wie sich ja auch die Rede natürlich
gegebener, d.h. biologischer Geschlechtskörper als diskursiv produzierter
Trugschluß erwiesen hat. Vielmehr ist festzuhalten, dass im Zuge historischer
Prozesse (d.h. durch Kolonialismus und Sklaverei, durch Herausbildung kapitalistisch-patriarchaler
Nationalstaaten, durch Apartheid und rassistische Diskriminierung, etc.) Hautfarbe
und andere, ebenfalls physische Merkmale als vorgeblich bedeutsame Differenzierungskriterien
nicht nur konstruiert, sondern auch markiert wurden, und dass es auf dieser
Grundlage - unter Rückgriff auf weitere, tatsächliche wie zugeschriebene
Merkmale und Eigenschaften - zur Bildung verschiedener, u.a. weißer
und schwarzer ethnischer Identitäten gekommen ist. Warum das so gewesen
ist, d.h. welche Rolle solcherart ethnischer Identitäten gespielt haben
bzw. spielen, z.B. bei der Herausbildung kapitalistisch-patriarchaler Nationalstaaten,
darauf geht das blackness & whiteness-Konzept nur z.T. ein, ein Umstand,
der nicht weiter ins Gewicht fällt, würde doch allein der Versuch
einer diesbezüglichen Thematisierung den Rahmen des vorliegenden Artikels
sprengen. Blackness & whiteness interessieren sich stattdessen für
das Wie, also dafür, vermittels welcher, auch zirkulär verlaufenden
Mechanismen ethnische Identitäten kreiert werden. Im Kern des Konzeptes
steht folglich die Beschäftigung mit dem (auch aus Gender-Debatten bekannten)
Sachverhalt, wonach zwar races bzw. Ethnizitäten nichts Natürliches
sind, dafür jedoch Effekte, d.h. reale End- und Ausgangspunkte sozial
regulierter Konstruktionsmechanismen. Oder anders: So wie races bzw. ethnische
Identitäten keine bewußtseinseintrübenden Hirngespinste sind,
also Schwarzsein und Weißsein als real geronnene Identitäten durchaus
existieren (verstanden als je spezifische, immer auch körperliche Weisen
des Denkens, Fühlens und Handelns), so gilt umgekehrt gleichfalls, dass
der Umstand, permanent sich vollziehender Konstruktionsmechanismen nicht aus
den Augen geraten darf.
Konkret: Besagte Konstruktionsmechanismen zu begreifen, erfordert einerseits
die Beschäftigung mit realer, sei es rassistischer Diskriminierung, sei
es rassistischer Priviligierung - wobei klar sein dürfte, dass beide,
Priviligierung wie Diskriminierung, je nach Klassen-, Geschlechts- etc. zugehörigkeit
nicht nur unterschiedlich ausfallen, sondern auch unterschiedliche Effekte
nach sich ziehen können. Andererseits gilt es - im direkten Gegenzug
-, die diskursiv fundierten Repräsentationsregime auszuleuchten, also
jene Bilderspeicher, in denen das Material versammelt ist, aus dessen Bestandteilen
schwarze, weiße und andere Identitäten konstruiert werden; Material,
welches sich der diskursiven Sphäre verdankt, d.h. welches sich aus visuellen
Bildern (in Filmen und Printmedien, in der Werbung, etc.), aus Werten und
Normen, aus sprachlichen und schriftlichen Äußerungen jeder Art,
aus Musik etc. zusammensetzt. Die innerhalb der herrschenden Repräsentationsregime
entworfenen Bilder von Schwarzsein und Weißsein sind direkt aufeinander
bezogen, mehr noch: das Prinzip des negativen Spiegelbildes eint sie: das,
was die einen nicht haben, zeichnet die anderen aus - und umgekehrt. Ausbalanciert
geht das allerdings nicht zu. Es dominiert der koloniale Blick, die Bilder
sind von einem weißen Standpunkt aus konstruiert, und das gilt selbst
für einen erheblichen Teil des von Schwarzen stammenden Bildermaterials.
Praktisch werden die Bilder von Schwarzsein und Weißsein (und somit
rassistischer Differenz) mittels einer Vielzahl gegensätzlich strukturierter
Begriffspaare entworfen (Begriffspaare, welche ihrerseits das Rückrad
der diskursiven Sphäre, also auch der herrschenden Repräsentationsregime
bilden): Demnach sind es die erwachsenen Weißen, welche sich durch Arbeit,
Geist und Disziplin auszeichnen, welche aktiv und fleißig - die Dinge
gerade und feste im Blick - Kultur, Moral und Zivilisation erschaffen, immer
im Hellen und Sichtbaren, stets trocken, gemäßigt und sauber. Demgegenüber
sind die Schwarzen infantil, ganz Körper, Gefühl und Müßiggang;
sie sind passiv, lasterhaft und weich, der feuchten und dunklen Natur nahe,
ohne Geschichte und Kultur, versunken in wilder Barbarei, schmutzig, faul
und aggressiv. Das aber ist nicht alles, ist doch der Gegensatz zwischen Schwarzsein
und Weißsein ein durchkreuzter; durchkreuzt nicht zuletzt vom System
patriarchaler Zweigeschlechtlichkeit, was v.a. deshalb pikant ist, weil die
Bilder von Frauen und Männern (und somit sexistischer Differenz) mittels
genau derselben Begriffspaare entworfen werden wie die zwischen Schwarzsein
und Weißsein, wobei Frauen die schwarze und Männer die weiße
Position innehaben. Diese Kreuzung zweier Herrschaftsverhältnisse hat
zur Konsequenz, dass es in der Gesamtbilanz nur einen Herrn gibt: den durchsetzungsstarken,
überlegenen und stets wohltemperierten weißen Mann (white male
supremacy). Die weiße Frau ist demgegenüber nur eingeschränkte
Herrin: Sie steht zwar auf der Seite zivilisierter Kultur, ist gleichzeitig
jedoch irritabel, sie ist weich, ist von Gefühlen bestimmt, ihre Grenzen
sind unscharf, ja fließend. Das macht sie anfällig, läßt
sie zur Seite des Natürlichen, des Schwarzseins neigen; Schutz hiervor
ist nur seitens des weißen Mannes möglich. Auf der anderen Seite
des Ufers stehen schließlich die schwarze Frau, der schwarze Mann. Wichtigste
Differenz unter ihnen ist, dass der schwarze Mann, ausgestattet mit einem
riesigen Penis, sinnenvergessen, ungezügelt und gefährlich ist,
während die schwarze Frau hin- und herpendelt zwischen sexuell aufgeladener
Animalität und fürsorglicher Mutter-Position.
Die entscheidende Frage ist nunmehr, in welchem Verhältnis die in den
herrschenden Repräsentationsregimen entworfenen Bilderwelten zum tatsächlichen
Schwarzsein bzw. zum tatsächlichen Weißsein stehen. Denn die Tatsache,
dass die Subjekte durch diese Bilderwelten hervorgebracht, d.h. in's Leben
gerufen werden (immer im Zusammenspiel mit realen Existenzbedingungen, so
wie sie sich aus den jeweiligen Klassen-, Geschlechts-, Ethnizitäts-,
etc. positionen ergeben), heißt ja noch lange nicht, dass dies in einem
1:1- Verhältnis erfolgen würde. Indes: So zentral diese Frage ist,
ihre wie auch immer knappe Beantwortung ist unmöglich. Ich möchte
es deshalb einmal mehr mit Andeutungen versuchen.
Ich beginne mit Weißsein (nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Weißsein
seinerseits je nach Klasse, Geschlecht etc. zerklüftet ist): Natürlich
ist reales Weißsein mehr als Arbeit, Geist und Disziplin. Denn so sehr
die Repräsentationsregime es vorgaukeln (und so recht es weißer
Identität wäre), Begehren, Gefühle und Impulse, kurz Körper
bzw. Körperlichkeit, alles das kann verdrängt, kann moduliert bzw.
in sozial regulierte Bahnen gelenkt, nicht aber aufgehoben, d.h. aus der Welt
geschafft werden. Oder anders: Die Subjekte sind zwar das Produkt sozial regulierter
Konstruktionsmechanismen, allein: das, was da konstruiert wird, ist keine
Schaffung aus dem Nichts; ersteinmal, d.h. anfangs seines Lebens ist der Mensch
ein vitales Bündel körperlich-affektiver Bedürfnisse, Impulse
und Energien, nicht mehr und nicht weniger! Und weil das so ist, ist Subjektwerdung
(in kapitalistisch-patriarchalen Nationalstaaten) ein prinzipiell schmerzhafter
Prozeß. Oder in den Worten zweier Altmeister: "Furchtbares hat
die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete,
männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird
noch in jeder Kindheit wiederholt." (Adorno/Horkheimer) Dies vor Augen
geführt erschließt sich auch die eigentliche Bedeutung des negativen
Spielgelbildes: So wie innerhalb patriarchaler Logiken Frauen das Verdrängte
verkörpern (gefährlich-süß wie es ist...), so sind Schwarze
innerhalb rassistischer Logiken StatthalterInnen des Abgespaltenen, verkörpern
aus weißer Sicht das, was faszinierend und begehrenswert ist, was Lust
macht, aber auch Angst, was mit Haß und Ekel verfolgt wird; denn das
Abgespaltene ist verführerisch wie gefährlich, droht es doch die
eigene Kontrolliertheit zu sprengen: die mühsam errichtete Heterosexualität,
ja Geschlechtlichkeit überhaupt, die Selbstdiszipliniertheit zum Zwecke
der Lohnarbeit etc.. Mit anderen Worten: Wer die weiße Ambivalenz, ihre
Bereitschaft zur konsumistisch-lustvollen Einverleibung schwarzer Kultur (incl.
fetischistischer Verherrlichung glänzend-schwarzer Haut) verstehen möchte,
bei gleichzeitiger Nicht-Problematisierung eigener Weißheit, der bzw.
die sei auf die Gespaltenheit weißer Identität verwiesen, also
darauf, dass das weiße Subjekt in seinem Innersten kontrollierte Rationalität
zu sein wünscht, und dennoch seinem Körper nicht zu entfliehen vermag,
mit der Konsequenz, immer wieder ängstlich-lustvoll auf das durch blackness
Verkörperte zuzutaumeln.
Allein: Das weiße Subjekt will hiervon nichts wissen, es möchte
innerhalb der Repräsentationsregime unsichtbar bleiben, so wie ja auch
das Abgespaltene zur Unsichtbarkeit verdammt ist. In seinem Selbstverständnis
ist die eigene Weißheit das Normale, das Universelle, das, was keiner
eigenenständigen Thematisierung bedarf. In's Rampenlicht gehört
stattdessen die zur Andersheit erklärte blackness, als solche Andersheit
soll sie thematisiert sein, und das zu nichts anderem als zur identitären
Bekräftigung der eigenen, d.h. weißen Identität.
Ich möchte Zwischenbilanz ziehen: Bezüglich realem Weißsein
haben sich die innerhalb der herrschenden Repräsentationsregime entworfenen
Bilder als vieldeutig erwiesen: Sie scheinen einerseits Körperlichkeit
und Affektivität auszublenden und deshalb eine Fehlrepräsentation
darzustellen. Andererseits sind sie der Stoff, aus dem reales Weißsein
gemacht ist. Denn die Spaltung weißer Identität ist keine Fiktion,
sie ist real! Weißsein heißt tatsächlich Kontrolle eigener
Körperlichkeit und Vitalität, genau so wie Zwangsheterosexualisierung,
Zwangsvergeschlechtlichung etc.. Und auch heißt Weißsein, mittels
phantastisch-projektiver Zuschreibungen nicht nur (eins auf's neue) rassistische
Differenz zu stiften, sondern auch über ein Ventil zum inneren Spannungsabbau
zu verfügen; schließlich ist, mit Toni Morrison gesprochen, die
blackness-Seite innerhalb der herrschenden Repräsentationsregime in erster
Linie ein Traum, ein Traum, der, wie jeder Traum, ausschließlich Auskunft
über seine TräumerInnen gibt, in diesem Fall: seine weißen
TräumerInnen!
Es versteht sich von selbst: Unter diesen Bedingungen ist das Verhältnis
zwischen realem Schwarzsein und den innerhalb der Repräsentationsregime
entworfenen Bildern von blackness ungeheuer schwierig. Genausowenig wie Weiße
nur kontrollierte Rationalität sind, gehen Schwarze in purer Körperlichkeit
auf; und auch gilt, dass Schwarze genauso wie Weiße den Erfordernissen
kapitalistisch- patriarchaler Nationalstaaten unterworfen sind, also ebenfalls
Körperlichkeit und Vitalität kontrollieren, Heterosexualität
und Geschlechtlichkeit herausbilden müssen, etc..
Das aber heißt: Auch die schwarze Identität ist (strukturell) gespalten:
Einerseits sind die als schwarz markierten Menschen den Subjektivierungsimperativen
unterworfen, die innerhalb der herrschenden Repräsentationsregime der
weißen Subjektposition zugeschrieben werden. Andererseits ist es den
als schwarz markierten Menschen nicht möglich, der rassistischen Markierung
zu entgehen. Sie werden, ob sie wollen oder nicht, als schwarze Menschen subjektiviert,
so wie auch umgekehrt Weiße. Sie sind deshalb unweigerlich all den Zuschreibungen
ausgeliefert, welche die herrschenden Repräsentationsregime für
schwarze (d.h. als solche markierte) Menschen bereithalten. Das und die strukturell
notwendige Unterwerfung unter die weiße Subjektposition hat zweierlei
zur Folge: Einerseits den vielzitierten schwarzen Selbsthaß: "Und
sie griffen nach der Häßlichkeit, warfen sie sich wie einen Mantel
um und gingen so durch die Welt." (Toni Morrison) Andererseits den Wunsch,
dem von außen auferlegten Selbsthaß etwas Eigenes entgegenzusetzen,
der Fremdethnisierung selbstbewußt und subversiv zu begegnen. Dass dies
eine widersprüchliche und nicht immer in emanzipatorische Entwürfe
einmündende Praxis ist, soll jetzt noch am Beispiel einer bestimmten
Variante schwarzer Männlichkeit gezeigt werden.
Eine ganze Reihe schwarzer Männer in den USA und GB (welche nicht den
immer noch seltenen Sprung in die Mittelklasse geschafft haben) hat im Laufe
der letzen 200 Jahre eine heterosexistische, phallozentrisch geformte Hypermaskulinität
herausgebildet, d.h. ein derart in's Extrem gesteigertes Männlichkeitskonzept,
dass selbst die schwarze Kulturtheoretikerin bell hooks von einem "lebensgefährlichen
Würgegriff patriarchaler Maskulinität" spricht, in welchem
eine Vielzahl schwarzer Männer verstrickt sei.
Losgetreten wurde diese Entwicklung bereits im Zeitalter der Sklaverei, damals
durch die demütigende Erfahrung schwarzer Männer, in jedweder Hinsicht
degradiert und unterworfen zu sein, also auch keinen Zugang zu solchen Attributen
zu haben, welche gemeinhin, d.h. im Rahmen patriarchaler Verhältnisse
mit selbstbewußter Männlichkeit verknüpft werden, wie z.B.
Autorität, familiäre Versorgertätigkeit oder Privateigentum.
Diese Demütigungserfahrung (deren Zustandkommen allerdings nur vor dem
Hintergrund eines patriarchalen Ehrenkodex Sinn macht) ist durch personellen
und strukturellen Rassismus bis auf den heutigen Tag fortgeschrieben worden.
Damals wie heute haben sich schwarze Männer durch die Herausbildung besagter
Hypermaskulinität zur Wehr gesetzt, haben Gewalt und Diskriminierung
durch einen eigenen Kultus der Stärke beantwortet. Dies umfaßt
auch die Nicht-Bereitschaft vieler schwarzer Männer, den Mythos ihrer
vorgeblich übergroßen Potenz (wozu auch die weiße Phantasie
des schwarzen monströsen Phallus gehört) zu demystifizieren. Im
Gegenteil: Die rassistischen Stereotype werden oftmals absorbiert, die Mythen
fortgeschrieben. Ob im Sport oder im Rap, an der eigenen Körperlichkeit
wird gearbeitet und gefeilt. Pulsierende Lebendigkeit, Intensität und
offensiv zur Schau getragene Lebensfreude sind Programm - wider den rassistischen
Alltag! Endgültig eskaliert ist dies in den 80-er und 90-er Jahren. Die
politischen Freiheitsvorstellungen der 60-er und 70-er Jahre sind in dieser
Zeit zunehmend durch eine "Biopolitik des Fickens" (Paul Gilroy)
ersetzt worden, die Artikulation von Freiheit, Autonomie und Handlungsfähigkeit
wurde mehr und mehr mit hetero-sexuellem Begehren und expressiver Körperlichkeit
in eins gesetzt, mit der Konsequenz, dass die schwarze community mitunter
zu einem Ort gemacht wurde, welcher Repräsentanz vor allem durch herausragende
(heterosexuell markierte) Körper wie den von Michael Jordan erfahren
hat. Diese Entwicklungen sind (insbesondere von schwarzer Seite aus) oft problematisiert
worden, nicht zuletzt aus zwei Gründen: Erstens ob der immer wieder massiven
Gewalt innerhalb der schwarzen Community selbst, sei es direkte Gewalt unter
heterosexuellen Männern oder sei es frauenfeindliche bzw. homophobe Gewalt.
(Dass Homosexualität ^Âthe white men's disease' wäre, das
ist unter manchen Schwarzen bis heute ein geflügeltes Wort.) Zweitens
ob eines verhängnisvollen Zirkels: Die körperbezogene und zudem
sexuell aufgeladene Hypermaskulinität unter schwarzen Männer, welche
ja immer schon eine Antwort auf rassistische Unterdrückung dargestellt
hat, ist ihrerseits oftmals als wirklichkeitsverbürgende Bestätigung
weißer Projektionen wahrgenommen worden, mehr noch: sie hat die rassistische
Fiktion bis zu einem bestimmten Punkt real gemacht - ablesbar z.B. an der
Vorherrschaft schwarzer Männer in bestimmten Sportarten. Welche dramatischen
Konsequenzen ein derartiger Zirkel zwischen Realität und diskursiv fundiertem
Repräsentationsregime haben kann, das wiederum - Bogen zurück! -
hat der koloniale Gau auf dem 3. und 4. Grenzcamp gezeigt (d.h. die koloniale
Leichtfertigkeit, mit der The Voice in der Weimarer e-mail attackiert wurde).
Deshalb sei mit allem Nachdruck darauf hingewiesen: Männlichkeit hat
viele Gesichter, zwei habe ich (andeutungsweise) erwähnt: white male
supremacy sowie schwarze phallozentrische Hypermaskulinität. Was sie
und weitere (weisse, schwarze und andere) Männlichkeiten eint, ist, dass
sie alle personelle und strukturelle Gewalt ausüben, dass also keine
besser ist als die andere und dass sie deshalb zusammen bekämpft gehören
(ohne dass hierbei jedoch die je unterschiedlichen Entstehungsbedingungen
aus den Augen verloren werden sollten).
Ein Aspekt sei noch kurz erwähnt: Eingangs hieß es, dass blackness
& whiteness reduktionistische und deshalb auszudifferenzierende Polarisierungen
seien. Dies gilt es, auf jeden Fall zu beherzigen. Wer Rassismus ernsthaft
analysieren möchte, die bzw. der muß sehr viel genauer vorgehen
als im vorliegenden Artikel, die bzw. der muß bereits in Europa unterschiedlichste
Differenzierungen machen, z.B. die zwischen ost-, west-, süd- sowie südosteuropäischen
Identitäten - und selbst das dürfte nicht reichen... Allein: Ganz
gleich welches rassistische Verhältnis untersucht wird, oft ist das Strickmuster
insofern ein ähnliches, als es immer gegensätzlich strukturierte
Begriffspaare sind, entlang derer Ethnisierung erfolgt. Wie das konkret funktioniert
konnte jüngst nach den Terroranschlägen in den USA beobachtet werden,
als einmal mehr westlich-christliche Zivilisation gegen arabisch-muslimische
Barbarei in Stellung gebracht wurde.
Zweierlei hoffe ich, einigermaßen plausibel gemacht zu haben: 1. Rassismus steckt strukturell in jedem als weiß markierten Menschen. Weiße AntirassistInnen dürfen sich deshalb nicht darauf beschränken, vor allem staatlichen Rassismus zu attackieren. Sie müssen immer auch den gesellschaftlichen Rassismus und somit sich selbst im Auge behalten. Konkret: Eine der zentralen Zielsetzungen weißer antirassistischer Politik hat in diesem Sinne die bewußt herbeigeführte Zerschlagung weisser Identität zu sein! Nur so besteht im übrigen auch eine reelle Chance, dass antirassistische Grenzcamps langfristig nicht mehr nur eine überwiegend weiße Angelegenheit bleiben. 2. Sexismus, Heterosexismus und Rassismus sind derart ineinander verschränkt, dass sie nur zusammen begreifbar und bekämpfbar sind - oder gar nicht! Dies gilt es theoretisch wie praktisch zu beherzigen. Ein Ort, diese und viele weitere Fragen zu diskutieren, ist hoffentlich die 1. cross-over-conference vom 17.-20. Januar 2002 in Bremen.
Abseits der üblichen Verdächtigen (von J. Butler über S. Hall bis hin zu M. Foucault) sind für vorstehenden Artikel v.a. 4 Quellen wichtig gewesen:
Gregor Samsa
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